Mit einem blauen Auge davon gekommen

    Dem Frosteinbruch im April getrotzt – Obstbauern der Nordwestschweiz atmen auf

    Die Angst sass den Obstbauern der Nordwestschweiz im Nacken, als vorübergehend im April einige Frosttage Einzug hielten. Besonders die Kirschernte schien gefährdet. Aber man kam mit dem Schrecken davon und die vielen Ausflügler zum beliebten Chriesiwäg in Gipf-Oberfrick und Kirschensammler/innen in der ganzen Region können aufatmen. Ganz anders als in anderen Regionen der Schweiz, wo das Ausmass der Zerstörung der Kirschernte verheerender war.

    (Bilder: zVg) Grosses Aufatmen bei den Obstbauern der Region: «Väterchen Frost» hat weniger hart zugeschlagen und für Ernteeinbussen gesorgt als befürchtet.

    Alle Jahre wieder lockt der Chriesiwäg in Gipf-Oberfrick. Dieses Ausflugsziel ist sehr beliebt im Grossraum Nordwestschweiz und besonders viele aus der Region Basel und Baselland kommen wegen des Chriesiwäg ins nahe Gipf-Oberfrick. Der Chriesiwäg führt durch die wunderschöne, kirschbaumreiche Landschaft des Fricktals und vermittelt Wissenswertes zum Kirschenanbau. Während der Saison darf direkt von den markierten Bäumen genascht werden. Elf Informationstafeln ergänzen die familienfreundliche Wanderroute. Die auf halber Wegstrecke angelegte Grillstelle lädt nicht nur zum Verschnaufen ein, sondern bietet auch einen einmaligen Ausblick übers Fricktal. Der Verband Aargauer Obstproduzenten hat im Jahr 2006/2007 in Zusammenarbeit mit dem Jurapark Aargau, der Gemeinde Gipf-Oberfrick und diversen Sponsoren den Kirschenlehrpfad «Fricktaler Chriesiwäg» eingerichtet. Er führt durch einen traditionellen, naturnah bewirtschafteten Hochstammbestand, der zahlreichen Tieren einen Lebensraum bietet.

    Zum Glück nur zirka zehn Prozent Einbusse
    Dieses Vergnügen schien in Gefahr, als zuletzt der Frost den Kirschbäumen ziemlich zusetzte. Aber die Landwirte haben vorgesorgt, wie auch André Steinacher, seines Zeichens Präsident des Verbandes VAOP (Verband der Aargauer Obstproduzenten). Er hat schon Tage vor dem kurzzeitigen «Kälteschock» die Frostkerzen in seinen Obstbaumanlagen verteilt sowie die Aprikosen- und die Kirschbaumanlage mit Folien abgedeckt. Das sorge dafür, dass die Blüten trocken in die Nacht gehen und mindere so das Risiko auf Schäden durch Verdunstungskälte. Steinacher: «Die Witterungsschutzfolie aufzuspannen ist jedoch mit einem sehr hohen Risiko bei Schneefall verbunden. Denn Schneedruckschäden können gross werden und die ganze Kirschenanlage zusammenstürzen lassen.» Ganz entspannt war also an den Frosttagen im April auch der mit allen Wassern gewaschene und erfahrene Steinacher nicht. Immerhin wurden bei ihm nicht mehr als vielleicht zehn Prozent der Kirschernte vernichtet oder beeinträchtigt. «Bei mir sind die Kirschen die erfroren sind, bereits im März in den Knospen erfroren. Solche Bäume blühen trotzdem, jedoch ist der Fruchtknoten schwarz.»

    André Steinacher konnte aufatmen: Die aufwändigen Präventions­massnahmen haben gegriffen und der Ernteschaden bei den Kirschen hielt sich in Grenzen.

    Problemzone Ernteversicherung
    Steinacher: «Frost gab es schon früher, aber es gibt eine Tendenz zu mehr überraschen auftretenden Frosttagen jeweils im Frühjahr. Man muss bedenken: Die Bäume treiben heute früher aus und sind damit in der Vollblühte, wenn der Frost kommt. Früher sagte man, alle zehn Jahre müsse man mit einem Totalausfall rechnen. Das hat schon damals viele Bauern in Finanznot gebracht. Heute ist das Problem, dass viele Obstbetriebe spezialisiert sind, und fast nur Obstbau betreiben. Vor allem ist der Obstbau viel kapitalintensiver als früher. Vielerorts wurde in den letzten Jahren massiv in die Spezialisierung investiert, so dass solche Betriebe, auch ohne Frost, am finanziellen Limit laufen.» Hier würde schon lange eine Ernteversicherung wie von den Berufsverbänden gefordert, viel helfen, sagt Steinacher. In vielen Teilen der Erde sind solche Ernteversicherung schon lange Standard und vom Staat mindestens anschubfinanziert. Eine weitere Möglichkeit wären zweckgebundene Rückstellungen, wie man sie im Gewerbe kennt.

    Finanzieller und zeitlicher Aufwand für Prävention
    Die grösste Sorge für André Steinacher war aber nicht nur die Gefährdung der Kirschernte an sich, sondern der flankierende finanzielle Schaden: «Vor allem die Frostprävention mit dem Anbringen, Entfalten und Aufspannen der Witterungsschutzfolie sowie die Wärmekerzen und das Bewässern kosteten um die 7000 Franken.» Damit könne man, so sagen die meisten Obstbauern, den Frost vielleicht zehn bis zwölf Stunden in Schach halten. Vom Kanton erhalten die Kirschbauern nur in Härtefällen finanzielle Unterstützung. «Einmalig im 2017 gab es Support durch den Fond Suisse, als ein Wintereinbruch unserer Ernte massiv zusetzte. Mit einer finanziellen Unterstützung bei Frostschäden wird es in Zukunft immer schwieriger», so Steinacher. Was er schade findet: Die Frostversicherung ist eine teure Angelegenheit. Auf diese verzichtet Steinacher lieber. Wie schon angedeutet finanziere in einigen Ländern Europas der Staat aber eine solche Versicherung.

    Nicht genug Synergien mit den Umweltverbänden
    Bezüglich Prävention für künftige Jahre will Steinacher mehr in die Frostprävention stecken. «Hier sind wir aber auf die Bewilligungsbehörden angewiesen. Das grösste Problem sind die Umweltverbände wie Pro Natura, WWF und Landschaftsschutz Schweiz. Einerseits wollen solche Vereine, dass wir ein Bioland werden, auf der anderen Seite machen sie Einsprüche gegen fast alles, was dem Schutze unserer Kulturen dient», gibt Steinacher zu bedenken.

    Daniele Ciociola


    Das Problem mit der Bestäubung und Befruchtung

    Agroscope ist das Kompetenzzentrum des Bundes für landwirtschaftliche Forschung und ist dem Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) angegliedert. Agroscope leistet einen bedeutenden Beitrag für eine nachhaltige Land- und Ernährungswirtschaft sowie eine intakte Umwelt und trägt damit zur Verbesserung der Lebensqualität bei.

    Die Forschung bei Agroscope erfolgt entlang der gesamten Wertschöpfungskette der Land- und Ernährungswirtschaft. Ziele sind eine wettbewerbsfähige und multifunktionale Landwirtschaft, hochwertige Lebensmittel für eine gesunde Ernährung sowie eine intakte Umwelt. Dabei richtet sich die Forschungsanstalt auf die Bedürfnisse ihrer Leistungsempfänger aus. Hierbei beschäftigen sich die Forscher auch mit Problemen, welche durch tiefe Temperaturen ausgelöst werden. Bei den Kirschbäumen gäbe es zum einen das Problem der Bestäubung, zum andern das der Befruchtung, erklärt Obstbauingenieur Thomas Schwizer (Quelle SF). Die Bestäubung machen die Bienen – und die fliegen bei diesem kalten Wetter gar nicht. Und wenn die Bienen dann mal fliegen und eine Bestäubung stattfindet, dann müsse es auch zu einer Befruchtung kommen. Diese brauche ebenfalls eine gewisse Temperatur, meint der Experte weiter.

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