Machen Kleider Leute oder Politik?

    KOLUMNE:


    Jugend von heute

    Ich liebe Mode! Das Gefühl, mich stundenlang in den Tiefen der Modewelt herumzutreiben und meine innere Gefühlslage durch Ästhetik und Stilmittel ans Licht zu bringen, ist für mich unersetzbar. Mode macht mich selbstbewusst und lässt mich unbesiegbar fühlen. Ohne Mode wäre das Leben langweiliger, weniger schön und um ein Dilemma ärmer.

    Vor einigen Wochen war ich letztens mit meiner Mutter auf einem Stadtbummel durch Bern. Dabei statteten wir auch dem Berner Kultshoppingcenter LOEB einen Besuch ab. Wir streiften umher und überflogen das vielfältige Sortiment. Den nachfolgenden Moment wird jede Fashionista/jeder Fashionist sicher bereits erlebt haben. Aus einem flüchtigen Blick entsteht ein Moment der Aufregung. Ein Tunnelblick, der alles um sich herum verschwimmen lässt. Die Welt gerät in Vergessenheit – nur man selbst und das Objekt der Begierde, in meinem Fall ein Leoprint-Gürtel. Liebe auf den ersten Blick kenne ich selbst wahrscheinlich am besten aus der Modewelt. Genau so ging es mir mitten im Berner Modetempel, als ich diesen Schatz entdeckte. Meiner Mutter gefiel der Gürtel auch, er passte wie angegossen und der Preis lag im Bereich des Möglichen – Jackpot. Kurze Zeit später stolzierte ich durch Bern, stolze Inhaberin eines neuen Gürtels. Doch mein Glück war nicht von langer Dauer und wurde kurze Zeit später von der Realität getrübt. Der Gürtel bestand aus Leder und ich mittendrin, in einer Wolke des Dilemmas. Aus Mode wurde eine politische Diskussion, was mir wichtiger ist: Tierschutz oder Umweltschutz?

    Während sich früher Mode hauptsächlich nach dem Geschmackskompass richtete, ist sie heute viel mehr Aushängeschild der Zugehörigkeit politischer Meinung und bestimmter Gesellschaftsmilieus. Vor allem bei der Jugend wird dabei das Wörtchen Nachhaltigkeit ein immer schlagkräftigeres Verkaufsargument. Dieser Wandel ist im Jahrzehnt, welches unter dem Stern der Nachhaltigkeit steht, unumgänglich. Problematisch ist es aber, wenn keine optimale Lösung in Sicht ist, wie im Falle meines Gürtels. Kaufe ich den Ledergürtel, geschieht dies auf Kosten eines Tierlebens, trägt aber aufgrund der Langlebigkeit zum Schutz der Umwelt bei. Der Kunstledergürtel ist weniger nachhaltig und muss früher wieder nachgekauft werden, fordert aber kein Tierleben. Ein veganer Gürtel kostet doppelt so viel und liegt nicht in meinem Budget als Studentin, zudem müsste ich diesen online bestellen, welches zusätzlichen CO2-Ausstoss verursacht. Die letzte Möglichkeit ist das Verzichten eines Gürtels, dann rutscht aber meine Hose und davon hat dann wirklich niemand etwas. Meine Mutter kommentierte später: «Dass du auf Kosten der Umwelt lebst, ist mit deiner Geburt eigentlich schon vorprogrammiert.» Und sie hat recht. Irgendwie schadet alles und am Ende hat niemand etwas davon, am wenigsten mein Gewissen. Deshalb habe ich mich schon vor geraumer Zeit mit dem Secondhand-Shopping angefreundet: stylisch, preiswert und vor allem nachhaltiger. Ich fühle mich nicht schuldig und muss meine Liebe zu Mode nicht einschränken. Deswegen gab ich meinen Ledergürtel zurück und wie das Schicksal es wollte, fand ich einige Wochen später einen ähnlichen Leoprint-Gürtel im Secondhand-Laden. Mode macht doch so viel mehr Spass, wenn man weiss, dass hinter jedem Kleidungsstück eine individuelle Message steht und nicht Made in China.

    Herzlichst
    Lilly Rüdel

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