In Unfreiheit auf die Freiheit vorbereiten

    Das erste Prime-News-Podium in der Markthalle lautete «Wege in die Kriminalität – und Auswege hinaus»

    Die Basler «Märthalle» ist nicht nur ein kulinarischer Treffpunkt, sondern war die Bühne für knapp 100 Interessierte, welche einem Gespräch mit anschliessender (kurzer) Diskussion beiwohnten, die eigentlich abendfüllend hätte sein müssen. Denn sowohl Thematik wie das illustre Quartett auf dem Podium zogen alle in ihren Bann.

    (Bilder: Küng) Moderator Christian Keller im Gespräch mit Ex-Bankräuber Szabo (links), der heute als Arbeitspädagoge und medial tätig ist.

    Prime News ist das jüngste Online-Portal, wurde vor ein paar Monaten von Christian Keller (ein früherer Redaktor der «Basler Zeitung», wo er als Ressortleiter fungierte) «geboren» (gegründet) und hat in dieser noch jungen Zeit bereits einige Duftmarken gesetzt. Die Ankündigung «Wege in die Kriminalität – und Auswege hinaus» versprach viel – und hielt noch viel mehr. Denn auf der Bühne hatte ein Mann (man darf ruhig von einem Mannsbild sprechen) Platz genommen, der – milde ausgedrückt – ein bewegtes Leben hinter sich hat. Sein Name? Rudolf Szabo.

    Vom Bauunternehmer zum Bankräuber
    Im Jahre 1959 in Wien geboren, aber in Wil (St. Gallen) aufgewachsen. Er absolvierte eine Baulehre, hatte schon in jungen Jahren ein zuerst florierendes Baugeschäft, machte eine Ausbildung als Grenadier und war mit der Zeit Vater von fünf Kindern. Eigentlich eine Bilderbuchkarriere – ein imposanter Mann, mit Aura, klaren Zielen und gutbürgerlich erfolgreich. Dann kam die grosse Baukrise, die Banken verweigerten – gerade kleinen Unternehmen (die KMU‘s lassen grüssen!) – Kredite, es folgten familiäre Probleme (die Ehefrau suchte Halt bei anderen Männern) und eine Scheidung. Man kann sich vorstellen, wie Szabo vor einem Scherbenhaufen stand. Er hatte, in seinem Empfinden, versagt. Er fühlte sich ungerecht behandelt und benachteiligt. Die (falsche) Lösung war, dass er danach mehrere Post- und Banküberfälle (mit Waffengewalt) beging; ein erstes Schmunzeln ging durch das Publikum, als er erzählte, dass das erste Opfer, das «ich fast zu Tode prügelte», ein Lover meiner Ex-Frau war.

    Eine illustre Runde mit Rudolf Szabo, Christian Keller, Martin Vinzens und Jascha Schneider, das vom interessierten Publikum einen langen, verdienten Endapplaus erhielt

    Eine ganze Armada war nötig…
    Seine Verhaftung soll «Hollywoodreif» gewesen sein. Um den «schweren Jungen» festzunehmen, brauchte es schon die ganze Elite-Einheit der St. Galler Kantonspolizei – einen Fast-Zweimeter-Mann mit gutem Kampfgewicht und ausgebildet in vielen Kampfsportarten nimmt man nicht einfach so mit. Die U-Haft war hart und prägend, das Urteil lautete «neun Jahre Gefängnis». Früher sprach man von Zuchthaus – heute hat sich der Strafvollzug gewandelt und Gefangene (vielleicht wäre das Wort «Menschen in Unfreiheit» korrekter) werden auf die Freiheit und (Wieder-)Integration in die Gesellschaft vorbereitet. Es war wohl das «Glück» von Ex-Bankräuber Ruedi Szabo, dass er in die offene Strafanstalt Saxerriet eingewiesen wurde und dort seine Haftzeit «verbüsste»; korrekter aber auf die «Zeit danach» vorbereitet wurde.

    Kuscheljustiz und Todeszelle
    Mit auf dem Podium sass Gefängnisdirektor Martin Vinzens, dessen Voten der Verfasser dieser Chronik in allen Punkten teilt. Sicher, rechtsbürgerliche (konservative) Kreise verlangen nach Härte und restriktiven Massnahmen respektive Strafen – in ihren Gedanken hat die sogenannte Kuscheljustiz versagt. Hier wurde Vinzens deutlich und sagte explizit: «Saxerriet ist eine offene Vollzugsanstalt. Jeder Gefangene kommt irgendwann wieder raus. Man hat eine Perspektive». Es sei mir erlaubt zu erwähnen, dass in den USA (zumindest in den allermeisten Bundesstaaten) Menschen in der Todeszelle gefangen gehalten werden – und dies seit 20 und mehr Jahren. Es ist erwiesen, dass die Kriminalität in den Vereinigten Staaten von Amerika zunimmt – kein Mensch wird besser und kann resozialisiert werden, wenn er 23 Stunden «in einem Loch schmorrt» und wartet und wartet und wartet…

    (Bilder: Küng / zVg) Martin Vinzens, Theologe, Feldprediger und seit 20 Jahren Direktor (Leiter) der offenen Strafanstalt Saxerriet

    Bezugsperson und Vertrauen
    Interessant auch die Ausführungen von Jascha Schneider. Der Basler Anwalt, einst bei Radio Basilisk wohl der mehrfache Vorgänger von Dani von Wattenwyl, später Moderator bei TeleBasel von «Salon Bâle», meinte: «Bei den wirklich grossen Delikten – Mord, Tötung oder versuchte Tötung – war es fast immer so, dass der Täter/die Täter in der Verhandlung letztlich geständig waren.» Und rief den interessierten Zuhörern (man darf von einem Fachpublikum sprechen) in Erinnerung: «Der Strafverteidiger – egal ob Pflichtverteidiger oder vom Klienten ausgewählt – ist häufig die einzige Bezugsperson. Wenn es der Anwalt schafft, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, kann dies im Hinblick auf die Prozessführung und Urteilsverkündigung sehr wertvoll sein», so Schneider, der kürzlich medial im Fokus stand, weil er der Verteidiger (von Shemsi Beqiri) im Fall des Übergriffes auf ein Reinacher Kampfsportzentrum war. Aber selbstverständlich gibt es auch diese Mandanten, die immer behaupten, unschuldig zu sein, wiewohl die Beweislast erdrückend ist und Videobeweise und Zeugenaussagen vorliegen. «Das wird dann zum Albtraum für jeden Verteidiger», so der eloquente Jascha Schneider.

    Arbeitspädagoge und Journalist
    Das Podiumsgespräch dauerte 45 Minuten – die Ausführungen von Szabo waren ehrlich, selbstkritisch und einsichtig. Heute sucht er nicht nach Rechtfertigungen, wiewohl er für seine Straftaten viele Erklärungen hätte. Nach dem Gefängnis begann er eine journalistische Ausbilding beim «Werdenberger & Obertoggenburger Tagblatt», danach war er Videojournalist bei Tele Ostschweiz, bevor er im Jahre 2005 eine pädagogische Ausbildung als Arbeitspädagoge in Basel und Liestal absolvierte. Heute betreut er vor allem junge, «schwere» Jungs und begleitet sie auf ihren Weg zu einer Lehre. Kurzum: Ein Mann, der garantiert «Achterbahn gefahren ist». Eine charismatische Persönlichkeit, die man sympatisch findet. Aber es soll nicht vergessen werden, dass er in seiner «Bankräuber-Karriere» auch viel Leid angerichtet hat. Den Opfern und deren Familien.

    Leider nur eine Stunde…
    Der Dank gebührt auch, oder vor allem, Christian Keller, der smart, und doch gezielt, moderierte. Schade, dass das Podiumsgespräch nur knapp 45 Minuten dauerte; und ebenso schade, dass für die Fragen aus dem Publikum nur noch eine Viertelstunde Zeit übrigblieb. Die komplexe Thematik und die Persönlichkeiten auf dem ersten Prime-News-Podium (in der Hoffnung, dass die Première keine Dernière ist!) sowie das interessierte Publikum (klein, aber sehr fein) hätten eine abendfüllende Veranstaltung verdient. Wir hätten gerne stundenlang zugehört und Fragen gestellt.

    So aber war bereits vor 20 Uhr Schluss. Und es blieb Zeit, um in der «Märthalle» die Vielfalt an Kulinarik zu entdecken und zu geniessen. Und ab 21 Uhr liefen ja einige Champions-League-Partien (Rot-Blau ist heuer nur Zuschauer…), wobei hierfür ja bezahlt werden muss – im Gegensatz zur Veranstaltung von Prime News. Im Zeitalter des Pay-TV ist dies fussballerischer Alltag. Nicht Alltag ist jedoch, wenn man in der Unfreiheit auf die (neue) Freiheit vorbereitet wird.

    Jordi Küng

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